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Die Tarim Mumien

Mit dem Begriff „Tarim Mumien“ werden gewöhnlich Mumien bezeichnet, die in den vergangenen 100 Jahren in der Wüste Taklamakan, der Wüste Lop Nor und im Tarim Becken allgemein gefunden wurden und deren Aussehen oft europide Merkmale zeigt.

Dabei handelt es sich aber nicht um Mumien, die, wie die ägyptischen, einer speziellen Mumifizierung unterzogen wurden. Bei den „Tarim Mumien“ geschah eine natürliche Mumifizierung durch Austrocknung im Wüstensand oder der trockenen Luft der Begräbnisstätte.

Als in den 80iger und 90iger Jahren des vergangen Jahrhunderts in der Wüste Taklamakan bzw. Lop Nor vermehrt Mumien mit „europiden“ Merkmalen gefunden wurden, war das zumindest in der Presse eine Sensation. Nicht so sehr unter Fachleuten. Zwar war es auch für sie aufregend, kam aber nicht „sooo“ unerwartet. Wussten sie doch schon seit langem, aus vielen anderen Funden, und Beobachtungen, daß sich entlang der so genannten Seidenstraße viele verschiedene Volksgruppen bewegten, Handel trieben und sich niederließen. Auch Volksgruppen, die ziemlich weit aus dem Westen gekommen sein mussten oder Beziehungen dorthin hatten. So finden sich neben Hinweisen in alten chinesischen Texten, Darstellungen von Menschen mit „europiden“ Merkmalen auf Wandbildern in buddhistischen Felsgrotten entlang der „Seidenstraße“ in China.

In westlichen Medien wurde oft der Eindruck vermittelt, als würden die „Tarim Mumien“, also die, die entlang der „Seidenstraße“  und speziell in der Taklamakanwüste und der Wüste Lop Nor gefunden wurden, alle „westlichen“, „indogermanischen“ oder „proto- europiden“ Ursprungs sein. Dem ist natürlich nicht so. Es wurden ebenso viele Mumien „mongoliden“ Ursprungs gefunden.

Unbestritten ist allerdings, daß in den Begräbnisstätten, aus denen die ältesten bisher gefundenen „Tarim Mumien“ stammen, und die „europide“ Merkmale zeigen, wie die aus den Fundstätten in Xiaohe, Loulan und Cherchen, und in einem Zeitraum von 1900 bis 1000 vuZ beigesetzt wurden, keine Mumien mit „mongoliden“ Merkmalen gefunden wurden.

Ob man das so zu interpretieren hat, daß zu dieser Zeit keine Menschen mit mongoliden Rassenmerkmalen im Tarimbecken lebten, ist Ansichtssache und eine Frage, die an anderer Stelle diskutiert werden soll.

Die bisher entdeckten, ersten Begräbnisstätten aus dem Tarimbecken, die sowohl Mumien mit „europiden“ als auch „mongoliden“ Merkmalen enthalten, stammen aus der Zeit um 1100 vuZ. 

Auch danach gibt es immer wieder Begräbnisstätten, die offensichtlich nur mit Menschen belegt wurden, die „europide“ Merkmale besaßen.
Daraus lässt sich nun aber nicht folgern, daß zu diesen Zeiten die Bevölkerung im Tarimbecken wieder nur aus Menschen mit „europiden“ Merkmalen bestand, sondern nur, daß in dieser Gegend oder der Gemeinschaft, aus der die Verstorbenen stammten, wohl keine Menschen mit ausgeprägten „mongoliden“ Merkmalen lebten.

Eine Antwort auf die Frage, ob diese Schlussfolgerung auch auf die Zeit um 1900 vuZ zutrifft oder nicht, werden wir wohl so schnell nicht bekommen.


Nun aber zurück zu den Mumien mit „europiden“ Merkmalen.

Es ist schon beeindruckend in einer Gegend wie dem Tarimbecken Mumien mit blondem oder rötlichem Haar, langer Nase und manchmal noch mit heller Haut zu sehen.

Dazu kommt, daß einige Begleitfunde wie z.B. einige Textilien, ähnliche Webtechniken aufweisen wie sie zur Hallstatt Zeit in Europa gebräuchlich waren.

Spekulationen und Phantastereien über „nordische“, „hellhäutige“  Kulturbringer,  „Indogermanen“ und „Kelten“ im Tarimbecken schossen nur so ins Kraut, nachdem sich amerikanische Forscher voreilig zu ähnlichen Äußerungen haben hinreißen lassen.

Die Diskussionen über die Herkunft der Menschen mit den „europiden“ Merkmalen wogten hin und her und bekamen auch bald politische Dimensionen.
Denn die oben genannten Spekulationen fielen natürlich auf fruchtbaren Boden bei uigurischen Separatisten und ihren amerikanischen und leider auch deutschen Unterstützern.
Kommen doch auch bei den Uiguren immer wieder Menschen mit heller Haut, blondem Haar und blauen Augen vor.
Aber damit sind sie ja nicht allein, den in vielen Völkern Mittelasiens ist das der Fall.

Die „Schöne von Loulan“ genannte Mumie die 1980 in den Gräbern bei Gumugou gefunden wurde, wurde bald zur „Mutter“ des uigurischen Volkes hochstilisiert, was dann der älteren, aber etwa 25 Jahre später entdeckten Mumie, die den Namen „Schönen von Xiaohe“ erhielt, verwehrt blieb.

Die seit 1995 durchgeführten genetischen Untersuchungen, die mit der Zeit immer feiner und aussagekräftiger wurden, zeigen heute folgendes Bild:
Die ältesten bisher gefunden „Tarim Mumien“ aus der untersten Schicht der Begräbnisstätte in Xiaohe waren Menschen, die hier, nach Radiokarbon-Datierungen, um rund 1900 Jahre vuZ beerdigt wurden.
Die Analyse ihrer DNS [1] zeigte, daß sie einer gemischten Bevölkerung mit westlichen und östlichen [u.a. aus Ostasien und Sibirien] Merkmalen entstammten, deren Mischung schon vor ihrer Ankunft im Tarimbecken im südlichen Sibirien stattgefunden haben muss.

Bei der Analyse der DNS der Mumien aus den höheren Horizonten der Begräbnisstätte in Xiaohe fand man eine immer größer werden Vielfalt an Haplotypen was die Einwanderung und Mischung weitere Völker bedeutet.
Neben der größeren Anzahl an west- und osteurasischen Haplotypen kommt nun auch noch ein aus Süd/West Asian stammender – wohl möglich indischer - Haplotyp vor.

Das Ergebnis ist, daß die „Tarim Mumien“, die europide Merkmale zeigen, eben keine „nordischen“ Menschen oder gar Kelten waren, sondern Menschen eines umfangreichen Völkergemischs, das in Zentralasien und den eurasischen Steppen entstanden war und sich offensichtlich auch noch im Tarimbecken weiterentwickelte.

Einer der ersten Forscher der Neuzeit, der die Erforschung der „Tarim Mumien“ initiiert und vorangetrieben hat, ist der bekannte amerikanische Sinologe Victor Henry Mair.

Nach Veröffentlichung der Ergebnisse der genetischen Untersuchungen der „Tarim Mumien“ aus dem untersten Horizont der Begräbnisstätte in Xiaohe [1] hat Maier, mit Bezug auf die oben erwähnte politisch aufgeladene Diskussion, erleichtert gesagt: „We deflated the bubble“ - „wir haben die Luft aus der Blase gelassen“ wie Barbara Demick von der Los Angeles Times [3] berichtete.
Man war zu der Erkenntnis gekommen, daß die „Tarim Mumien“ mit den europiden Merkmalen weder „Chinesen“ noch „Uiguren“ waren, auch wenn ihre Nachkommen aus rund 2800 Jahren, die sich weiter vermischten, vor allem mit mongoliden Völkern, später in die ebenfalls eingewanderte uigurische Volksgruppe, aber nicht nur die, assimiliert wurden.


Und einen weiteres sehr interessantes Ergebnis haben die genetischen Untersuchungen der „Tarim Mumien“  aus den 5 Horizonten der Begräbnisstätte in Xiaohe geliefert, das hier noch Erwähnung finden soll.

Aus archäologischen und anthropologischen Untersuchungen hatte man zwei Theorien über die Herkunft der frühen Siedler im Tarimbecken aufgestellt.
Die eine ist die sogenannte „Steppenhypothese“, die mindestens zwei Einwanderungswellen aus der russisch-kasachischen Steppe annimmt. Wobei die erste Welle aus der Afanasievo Kultur im Raum Schwarzes Meer – Kaspisches Meer gekommen sein soll, während die zweite aus der Andronovo Kultur, die im Bereich des Pamirs, des Ferghana Tals, Kasachstans und der Minusinsk/Altai Region beheimatet ist, kam.

Die zweite Theorie, bekannt als die „Oasenhypothese“, sieht ebenfalls zwei Einwanderungswellen während der Bronzezeit vor, wobei die Siedler aber aus Gebieten wie
Usbekistan [Nord„Baktrien”], Afghanistan [Süd„Baktrien”] und Turkmenistan, also dem Bereich der „Oxus“ Kultur gekommen sein sollen.

Die genetischen Untersuchungen der „Tarim Mumien“ lassen nun den Schluss zu, daß es, wie so oft, nicht ein „entweder oder“ gibt, sondern, daß beide Hypothesen vereinigt werden müssen.


Die wahre Bedeutung der „Tarim Mumien“ liegt nicht darin, daß sie europide Merkmale zeigen, sondern darin, daß sie uns zeigen, daß der Austausch entlang der Wege, die heute unter dem Begriff „Seidenstraße“ zusammengefasst werden, sehr viel älter ist als bisher angenommen wurde und daß es entlang der „Seidenstraße“ nicht nur zum Waren-, Kultur- und Technologieaustausch kam, sondern auch zum Genaustausch, um es mal so salopp zu sagen.
Und wen wundert das ?

PS
„Tarimmumien“ mit europiden Merkmalen sind im Museum in Urumqi zu sehen.
Weitere Mumien befinden sich in den „Astana-Gräbern“ bei Turfan, einer Begräbnisstätte für die Bewohner von Gaochang aus der Zeit von 273 bis 778, also aus der Zeit der [chinesischen] „Westlichen Jin“- bis zur „Tang“-Dynastie.
Der in älteren Reiseführen zu findende Hinweis, daß es im Museum in Hami Mumien zu sehen gäbe, ist nicht mehr aktuell, er bezog sich wohl auf eine vorübergehende Ausstellung.

Quellenangabe
[1]  Li et al; [2010]
 “Evidence that a West-East admixed population lived in the Tarim Basin as early as the early Bronze Age”
BioMedCentral The open access publisher
BMC Biology 2010 8:15
DOI: 10.1186/1741-7007-8-15

[2] Li et al. [2015]
“Analysis of ancient human mitochondrial DNA from the Xiaohe cemetery: insights into prehistoric population movements in the Tarim Basin, China”
BioMedCentral The open access publisher
BMC Genetics2015 16:78
DOI: 10.1186/s12863-015-0237-5

[3] Demick Barbara, [2010]
“Cultural Exchange: China's surprising Bronze Age mummies”
Los Angeles Times, October 24, 2010

© china-entdecken.com  Gert Wiemeier November 2016