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Das Karez Bewässerungssystem in Turfan

Einleitung Karez Bewässerungssystem in Turfan

Die mehr als 2700 Jahre alte Technologie des Karez Bewässerungssystems, die man in Turfan aber erst vor rund 160 Jahren begann in bedeutendem Umfang einzusetzen, war ein wichtiger Faktor für das Überleben der Oase Turfan in einer Zeit des schon damals fortschreitenden Klimawandels.

Durch die gedankenlose und konkurrierende Anwendung technischer Entwicklungen wie Talsperrenbau, Kanalisierung von Flüssen, sowie das Bohren von tiefen Brunnen, mit der Installation von elektrisch betrieben Pumpen, gepaart mit hemmungslosem Modernisierungs- und Profitstreben, ist heute in Turfan, wie an anderen Orten der Welt auch, das nachhaltige Karez Bewässerungssystem durch Überbeanspruchung des Grundwasserangebotes und der Verhinderung der Grundwasserneubildung, in seiner Existenz bedroht. 


Was ist ein Karez Bewässerungssystem?

Das Karez Bewässerungssystem besteht in der Regel aus drei Teilen
dem Stollensystem, das in alluviale Schuttfächer am Fuße von Gebirgen getrieben wird, um das darin enthaltene Grundwasser zu erschließen
einem Speicherbecken am Stollenmundloch und
einem verzweigten Kanalsystem zur Verteilung des Wassers

In ariden Gebieten enthalten die alluvialen Schuttfächer am Fuße von Gebirgen oft Grundwasser, das von jahreszeitlich bedingten Niederschlägen in den Gebirgen und Schmelzwässern gespeist wird.
Dieses Grundwasser kann man mit tiefen Brunnen erschließen oder weitaus effektiver mit einem Karez genannten Stollensystem.

Nachdem man auf dem Schuttfächer eine geeignete Stelle gefunden hat, die die Erschließung von Grundwasser mittels eines Schachtes verspricht, wird dieser abgeteuft. Hat man Grundwasser gefunden, wird der Karez Stollen vom vorher festgelegten Mundloch her und von Hilfsschächten aus entlang des geplanten Stollenverlaufs mit Hacke, Schaufel und Haspel im Gegenortbetrieb aufgefahren. Die Schächte dienen sowohl der Belüftung als auch dem Abtransport des Gesteinsmaterials. Dieses wird als eine kreisförmige Halde in einer kurzen Entfernung um den Schachtkopf herum aufgeschüttet. Dadurch wird der Schacht vor gelegentlichen oberflächlichen Fluten und unabsichtlichem Hineinfallen von Personen und Tieren geschützt.

Besonders in Luftbildern, aber auch am Boden, erkennt man in der vegetationslosen Gegend der ariden Gebiete schön die perlschnurartig aufgereihten Halden und damit den Verlauf der Karez Stollen.

Bild
Halden, die den Verlauf von Karez Stollen bei Turfan markieren [Maßstab 100m] 
Quelle: Baidu Ditu 2017

Die Neigung der Stollensohle wird so gering wie möglich gehalten, damit das Wasser der Schwerkraft folgend zwar von allein abfließen kann, aber durch seine geringe Geschwindigkeit eine nur sehr geringe oder gar keine Erosionswirkung hat. Denn diese hätte in dem relativ lockeren Gesteinsmaterial verheerende Wirkung auf die Standfestigkeit des Systems.
Durch die geringe Fließgeschwindigkeit wird allerdings Lockersediment, das immer anfällt, wenig transportiert, so daß sich die Fließrinne mit der Zeit zusetzt. Deshalb muss der Karez Stollen jährlich oder in größeren Abständen gereinigt werden.

Bild
Karez Bewässerungssystem in Turfan Prinzipskizze 1
Quelle: China-entdecken.com

Das Karez Bewässerungssystem liefert das ganze Jahr über eine relativ konstante Wassermenge und ist damit unabhängig von saisonalen Niederschlägen oder der schwankenden Wasserführung von Flüssen.

In der Regel wurde durch das Karez Bewässerungssystem das Gleichgewicht zwischen Grundwassernutzung und Grundwasserneubildung nicht gestört, weil seine Errichtung einen Aufwand bedeutete, der im Einklang mit dem Ergebnis stehen musste.
Das heißt, daß die Steigerung der Grundwassernutzung durch die Errichtung neuer Karez Systeme nur langsam voran schritt.
Allerdings wird bei immer weiterer Errichtung neuer Karez System auch durch sie einmal eine Grenze erreicht, bei deren Überschreitung die Grundwasserneubildung nicht mehr ausreicht, um alle Karez Systeme mit einer ausreichenden Menge Wasser zu versorgen.


Entstehung und Verbreitung des Karez Bewässerungssystems

Das Karez Bewässerungssystem entstand, wie schon erwähnt, vor mehr als 2700 Jahren, sehr wahrscheinlich in Persien [Iran]. Es soll sich dort aus Entwässerungsstollen von Bergwerken entwickelt haben, nur diesmal mit umgekehrter Zielrichtung, nicht um Wasser loszuwerden, sondern um Wasser zu gewinnen.
Von Persien aus wurde das Karez Bewässerungssystem in den eurasischen, nordafrikanischen und mediterranen Raum verbreitet und später durch die Spanier möglicherweise auch nach Südamerika.

Deshalb hat das Karez Bewässerungssystem heute sehr viele verschiedene Namen. Hier einige Beispiele:
karez [und ähnlich] in Persisch und in Turksprachen [z.B in Uigurisch]
qanat [und ähnlich] in Arabisch
foggara [und ähnlich] in Berberisch
kan er jing in Chinesisch und
mambo in Japanisch
Natürlich gibt es noch viel mehr Namen.


Das Karez Bewässerungssystem in Xinjiang

Die Erforschung der Verbreitung des Karez Bewässerungssystems, als auch anderer traditioneller Bewässerungssysteme in Xinjiang, ist noch sehr lückenhaft.
Das hat seinen Grund vor allem darin, daß viele dieser Systeme in alten Oasen vorhanden waren, die aber auf Grund der Klimaveränderung und der damit einhergehenden Austrocknung aufgegeben wurden und heute in den Wüstengebieten einer archäologischen Untersuchung z.T. schwer zugänglich sind.

Die wohl ältesten Karez Vorkommen gibt es im Gebiet von Kashgar am westlichen Ende des Tarimbeckens. [Möglicherweise stammen sie aus dem 9. Jahrhundert u.Z. , also aus der Zeit der Tang Dynastie]
Auch im Bereich von Yarkand, weiter östlich, am westlichen Rand der Wüste Taklamakan, gab es Karez Stollen. Vom Südrand der Wüste Taklamakan sind Karez Stollen aus Pishan [Guma] im Bezirk Hotan bekannt.
Vom Nordrand des Tarimbeckens kennt man Vorkommen des Karez Bewässerungssystems bei Kuqa [Kuche]. 
Auch in den Kreisen Qitai und Fukang am Südrand des Dschungarischen Beckens, also am Nordabhang des Tianshan gab es Karez Bewässerungssysteme.

Die bekanntesten Karez Bewässerungssysteme sind wohl die im Bereich Turfan [Turpan] und Hami in der Turfan Senke.

An dieser Stelle scheint es angebracht mit einigen Mythen aufzuräumen, die unter Uiguren und Chinesen zirkulieren.
Die örtliche Bevölkerung, sowohl Uiguren als auch Han Chinesen und andere, glaubt, daß die Geschichte der Karez Bewässerungssysteme in Turfan / Xinjiang 2000 Jahre und mehr beträgt. Dem ist aber nicht so.

Zur Entstehung und Verbreitung des Karez Bewässerungssystems in China gibt es 3 Theorien.
1. Die erste Theorie besagt, daß sich die Technologie der Karez Bewässerungssysteme im chinesischen Kernland auf der Guanzhong-Ebene [Zentral-Shaanxi-Ebene] entwickelt habe. Als Beispiel wird der Longshou Kanal im Kreis Chengcheng der Provinz Shaanxi genannt, ein Wasserleitungsstollen bei dessem Bau ebenfalls Hilfsschächte genutzt wurden.
Aber im Gegensatz zu einem Karez Stollen diente dieser im Zeitraum 128 - 117 v.u.Z.  während der Han-Dynastie aufgefahrene Stollen nicht der Erschließung von Grundwasser, sondern [nur] der Durchleitung von Flusswasser durch einen Höhenrücken. Diese Idee schmeichelt natürlich den  Han Chinesen und wird daher gerne von ihnen vertreten.
Aber die Idee, vorhandenes Flusswasser durch einen Tunnel zu leiten, ist etwas ganz anderes, als die Idee, mit einem Stollen in der Wüste Wasser in den Alluvialfächern der Gebirge zu suchen und eben nicht durch Brunnen sondern ein hydraulisches System zu erschließen  - auch wenn man dazu [auch anderen Orts bekannte] Bergbautechnologie verwendet.

2. Die zweite These besagt, daß das Karez Bewässerungssystem von der örtlichen Bevölkerung vor mehr als zweitausend Jahren entwickelt wurde. Was natürlich nicht unmöglich ist.
Es ist schließlich erwiesen, daß gleiche oder ähnliche Lebensumstände oft gleiche und ähnliche Lebens- und Wirtschaftsformen hervorgebracht haben und daß es zur Mehrfach- erfindungen des Webens, Töpferns, der Metallgewinnung, des Pfluges oder auch der künstlichen Bewässerung auf Grund gleicher ökolo­gischer Rahmenbedingungen und ähnlicher empirischer Erfahrungen kam. 
Auf Grund der historischen und archäologischen Quellenlage ist im Fall des Karez Bewässerungssystems diese These für Xinjiang allerdings nicht haltbar.
Aus ebenso durchsichtigen, diesmal dem Nationalstolz der Uiguren schmeichelnden Gründen, wird diese These natürlich vorwiegend von ihnen vertreten. Glaubt deren Mehrheit doch, dass Uiguren Xinjiang seit 2000 Jahren zu besiedeln, was im Verhältnis zu den 500 Jahren in denen es „Uiguren“ in Xinjiang tatsächlich gibt, allerdings maßlos übertrieben ist.

3. Die dritte und wahrscheinlichste These besagt, daß das Karez Bewässerungssystem wie oben schon beschrieben von Persien aus in den eurasischen, nordafrikanischen und mediterranen Raum verbreitet wurde. Nicht nur der Name „Karez“ sondern auch viele andere Begriffe und Regeln die im Zusammenhang mit dem Karez Bewässerungssystem stehen, lassen auf einen persischen Ursprung schließen.   


Das Karez Bewässerungssystem in Turfan

Die Oasen im Tarimbecken, im Dschungarischen Becken und auch in der Turfansenke, ja sogar in der Wüste Lop nor wurden von Flüssen gespeist, die ihren Ursprung in den hohen Gebirgen Kunlun Shan, Pamir und Tianshan hatten. Viele dieser Oasen sind im Laufe der Zeit eingegangen, weil das Wasserangebot der Flüsse abnahm und nicht mehr ausreichte.
Dieses Schicksal drohte auch den Oasen im Bereich Turfan.

Der für die Bekämpfung des Opiumhandels in China bekannte General Lin Zexu (* 30. August 1785; † 22. November 1850) wurde nach dem für China so folgenschweren ersten  Opiumkrieg vom Qing Kaiser Daoguang nach Xinjiang geschickt, um dortige Unruhen zu bekämpfen. Er lernte das Karez Bewässerungssystem wahrscheinlich erstmals im Dschungarischen Becken kennen. Auf seine Anregung hin wurde in Turfan, staatlich gefördert, die Anlage von zahlreichen Karez Bewässerungssystemen initiiert.  Das führte nicht nur zum Erhalt der Oase sondern sogar zu einer Ausdehnung der landwirschaftlichen Produktion. [Es besteht allerdings die Möglichkeit, daß es bereits davor vereinzelte Karez Systeme in der Region Turfan gab, die aber nur einen geringen Teil der damals bewässerten Fläche versorgt haben können. Der Forschungsstand dazu ist leider recht mangelhaft.]

Ein weiterer Schub beim Bau von Karez Bewässerungssystemen erfolgte 1875 auf Initiative des ebenfalls qingzeitlichen Generals Zuo Zongtang (* 10. November 1812; † 5. September 1885), der dafür sogar eigene Mittel ausgab.

Nach der Gründung der Volksrepublik China wurde die Errichtung von weiteren Karez Bewässerungssystemen ebenfalls staatlich gefördert.

Der Höhepunkt in der Nutzung des traditionellen Karez Systems war Mitte der 70er Jahre des vergangen Jahrhunderts erreicht.
Zum einen, weil der Bau neuer Karez Stollen keine weitere schnelle Steigerung des Wasserangebotes versprach und zum anderen erste Anzeichen dafür auftraten, daß das Karez Bewässerungssystem seine Grenzen erreicht hatte.

Um immer schneller immer mehr Wasser für die Bewässerung zu haben, wurde begonnen, das Flusswasser, das bisher das Grundwasser speiste, in Kanälen ab- und den Feldern zuzuführen. Das in Kanälen abgeleitete Wasser kann nun keinen Beitrag mehr zur Grundwasserneubildung liefern.

Zusätzlich wurden die Bedingungen für die Grundwasserneubildung durch die Anlage von Talsperren hoch in den Bergen verschlechtert. Zwar schützen diese Talsperren das Land unterhalb von ihnen vor reißenden Fluten bei Regenfällen, die durch den ungehemmten oberflächlichen Abfluss enstehen, da keine Vegetation das Wasser bremst, aber es steht noch weniger Wasser zur Versickerung und Grundwasserneubildung zur Verfügung, da das Wasser nun gleich aus dem Stausee abgeleitet wird und nicht erst aus dem Fluss.

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Karez Bewässerungssystem in Turfan Prinzipskizze 2
Quelle: China-entdecken.com

Gleichzeitig begann man elektrisch betriebene Pumpen in tiefen Bohrlöchern zu nutzen, um das Wasserangebot zu steigern. 

Die Folge all dieser Maßnahmen ist, daß Grundwasserneubildung und Grundwassernutzung aus dem Gleichgewicht gerieten.

Die kaum noch erfolgende Grundwasserneubildung und die immer stärkere Förderung des Grundwassers durch Pumpen haben bereits zu einer merklichen Absenkung des Grundwasserspiegels geführt, was für etliche Karez Bewässerungssysteme das Aus bedeutete.

Aber nicht nur das Karez Bewässerungssystem leidet darunter. Auch die Bodenqualität und die Umwelt. Früher wurde das im Winter nicht genutzte Wasser zum Auswaschen der Bodenversalzung verwendet und außerdem der die Oase umgebenden Wüstenvegetation zur Verfügung gestellt, die durch ihre Existenz im wahrsten Sinne des Wortes die Oase vor der Verwüstung schützte. Derartige Maßnahmen werden mit teurem, durch Pumpen gefördertem Wasser kaum noch betrieben.

Noch gibt es funktionierende Karez Systeme.
Und man hat begriffen, daß sie ein Beispiel für nachhaltige Resorcennutzung sind und nicht nur ein unmodernes, altertümliches Relikt und daß das Karez Bewässerungssystem in den Oasen durch die Arbeit zur seiner Anlage und Unterhaltung sowie die Regeln zur Wasserverteilung und Wassernutzung identitätsstiftend ist.

Auch wenn die Karez Bewässerungssysteme in Turfan nicht 2000 und mehr Jahre alt sind, wie es Uiguren oder Chinesen aus den genannten unterschiedlichen Gründen gern hätten, sind sie eine beachtenswerte und schützenswerte Errungenschaft und Meisterleistung des menschlichen Geistes.

Einen Einblick in die Geschichte und die Anlage sowie die kulturelle Bedeutung der Karez Bewässerungssysteme in Turfan bieten die zwei Karez Museen.
Das eine betont mehr die Sichtweise der Uiguren, während das andere mehr die Sichtweise der Chinesen betont.

Wenn man in Turfan zu weilt und Gelegenheit hat, sollte man den Besuch eines Karez Bewässerungssystems auch außerhalb der beide Museen einplanen.

© china-entdecken.com, Gert Wiemeier, 2016